Teil 1: Vorgeschichte und Entwicklung eines späten Frühchens

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Erfahrungen, Ängste, Sorgen und Freuden einer kleinen Familie

Als ich mit diesem Blog begann, war mein eigentliches Ansinnen eher satirisch-humoristisch geprägt. Ich wollte auch schriftlich der zynische, sarkastische Miesepeter sein, den man mir immer unterstellt, und ich wollte zahlreichen Aufforderungen folgen, die Dinge, die ich so sage, einmal aufzuschreiben. Zwar nicht als Buch – das mag womöglich noch kommen, wenn ich vollends durchdrehe – aber immerhin.

Diese Beitragsserie ist in erster Linie nicht lustig, für Betroffene sogar sehr ernst. Dennoch versuche ich auf meine Art, euch, die ihr diese Situation gerade erlebt oder bald erleben werdet, die Erfahrungen einer kleinen Familie im Kontext später Frühchen zu spiegeln.

Zu Beginn möchte ich bemerken, dass das Ganze hier ohne den Kommentar von Sadi wahrscheinlich gar nicht zustande gekommen wäre. Vielen Dank für dein Interesse. Hoffentlich ist das nun Folgende das, wonach du gesucht hast.

Was ist ein spätes Frühchen?

Zugegeben, als ich den Begriff zum ersten Mal selbst hörte, konnte ich mir darauf auch nicht wirklich einen Reim machen. Frühchen kommen zu früh. Logisch. Aber sind Frühchen noch Frühchen, wenn sie spät sind? Verwirrung.

Als spätes Frühchen, späte Frühgeburt oder auch Late Preterm bezeichnet man eine nicht unbedingt viel zu früh stattfindende Niederkunft unter Feststellung einer Unterentwicklung des ungeborenen Kindes im Mutterleib. In unserem Fall ging es um unsere Tochter, die zwar im Endeffekt nur drei Wochen zu früh das Licht der Welt erblickte, dabei aber gerade einmal 42 Zentimeter maß und 1.600 Gramm wog. Dass es sich bei unserer Tochter um ein spätes Frühchen handelt, ist, rückblickend betrachtet, schon beinahe Glück.

Im fünften Schwangerschaftsmonat nämlich suchten wir eilig das Krankenhaus auf, da sich der Verdacht erhärtet hatte, dass ein vorzeitiger Blasensprung stattgefunden hatte, was in diesem Stadium mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit zu einer Fehlgeburt geführt hätte. Zum Glück konnten die Ärzte den Schreck lindern und die Diagnose verwerfen. Festgestellt wurde bei der entsprechenden Untersuchung jedoch, dass der Embryo für die Phase der Schwangerschaft zu klein und zu leicht war. Die Diagnose lautete Plazentainsuffizienz, was bedeutet, dass die Gebärmutter der Frau nicht in der Lage ist, eine ausreichende Nährstoffproduktion in Gang zu setzen. Das Kind wird unterversorgt und seine Entwicklung im Mutterleib daher eingeschränkt.

Oft schwirrt in diesem Zusammenhang übrigens auch der Begriff Schwangerschaftsvergiftung durch den Raum. Ganz beliebt bei Familienmitgliedern, die in Wahn und Sorge um das ungeborene Kind der Verwandten damit um sich werfen, weil es so schlimm und nicht zu fassen ist. Dass es den Begriff in der aktuellen Medizin eigentlich gar nicht mehr gibt und er als stark veraltet gilt, bekommen die Vorgenerationen ja leider nicht mit. Damit aber nicht genug: es gibt auch heute noch Ärzte, die ihren Patientinnen eine Schwangerschaftsvergiftung attestieren. Dabei gemeint ist eigentlich die so genannte Gestose, die als Oberbegriff für zahlreiche Erkrankungen im Rahmen der Schwangerschaft gilt. Dass in der Fachberatung eines Gynäkologen hier keine detaillierte Aufklärung betrieben wird, ist ehrlich gesagt ein Witz.

Dies hat zur Folge, dass es sogar werdende Mütter gibt, die sich in Wartezimmern, den Krabbelgruppen und Vorbereitungskursen gegenseitig die schlimmsten Schauermärchen von diesen Schwangerschaftsvergiftungen erzählen. Grundsätzlich sterben dabei alle Mütter und Kinder einen qualvollen Tod oder springen eben jenem gerade noch von der Schippe. Das verhält sich ähnlich wie das Phänomen, sich schlimme Schicksale im Fernsehen anschauen zu müssen, die dann das eigene Wohlbefinden merklich senken. Schlimm. Schlimmschlimmschlimm. Bedrohliche Musik im Hintergrund. Es scheint jedenfalls zu faszinieren, das vermeintliche Leid anderer auf sein eigenes Leben zu projizieren. Merke also: Schwangerschaftsvergiftung nä, Gestose jo, Plazentainsuffizient häufigste Ursache für Embryo zu schwach, ‘schwör.

Wie kommt es zu einem späten Frühchen?

Die Antwort hierauf ist leider ohne zufriedenstellendes Ergebnis. Daher vorab eine Gegenfrage: hast du deinen Blinddarm noch? Egal, wie deine Antwort lautet, hier kommt die entscheidende Anschlussfrage: warum?

Und das ist die Erklärung dafür, wie es zu späten Frühchen kommen kann. Weil es sie geben kann und weil bisher niemand mit Sicherheit sagen kann, was die Faktoren dafür sind, dass eine vollkommen gesunde Frau in einem normalen Umfeld ein spätes Frühchen bekommt.

Während meine Frau und ich in der gesamten Schwangerschaft jeden Rat befolgten, der uns ärztlich und wissenschaftlich zu den Themen Ernährung, Bewegung, Alltagsverhalten etc. erreichte, beobachteten wir oft genug, wie rauchende und Alkohol trinkende Bald-Mütter durch den Alltag schlenderten. Ganz schlimm zu beobachten in der Zeit, als meine Frau aufgrund der Komplikationen vier Wochen vor der Geburt stationär im Krankenhaus aufgenommen wurde. Überall rauchende, junge, beinahe viel zu junge Frauen und Mädchen mit riesigen Babybäuchen. Mahlzeit.

Entsprechend schockiert nahmen wir die Diagnose auf, dass nach besagtem, vermeintlich verfrühtem Blasensprung nicht eben dieser vorlag, sondern die Plazentainsuffizienz. Mit sofortiger Wirkung sprach die Gynäkologin meiner Frau ein Berufsverbot aus und so kam es, dass die werdende Mutter über drei Monate vor der Geburt plötzlich Tag und Nacht zu Hause saß, bis zu einem bestimmten Tag...

„Drinlassen – das ist noch nicht durch!“

Nachdem ich meine Frau insgesamt sieben Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin ins Krankenhaus fuhr, kurz nachdem ich an diesem Tag gerade 500km am Stück abgerissen hatte, weil der entsprechende Anruf kam, als ich gerade beruflich in Bayern weilte, stand unsere Welt mit einem Mal Kopf¡

Meiner Frau wurde nach einigen Untersuchungen zunächst mitgeteilt, dass sie ab sofort im Krankenhaus bleiben müsse und wenige Tage später attestierte man ihr, sogar bis zur Geburt unserer Tochter das Krankenhausbett hüten zu müssen. Ein Schlag für uns!

Nicht nur war ich zu Hause völlig alleine und berufstätig – das wäre wohl ohnehin zu stemmen gewesen. Vor allem war es meine Frau, die nun allein auf einer ganzen Station voller glücklicher, werdender Mütter war – davon ein nicht gerade kleiner Anteil Raucherinnen. Noch einmal: Mahlzeit. Angesichts der Tabak-Kamine, die rund um die Klinik verteilt Wolken produzierten, stellten wir uns wochenlang die Frage, warum so etwas einer Mutter passiert, die penibel auf alle positiven Faktoren für das heranwachsende Leben achtet, während im Krankenhaushof die blauen Dunstwolken derer aufstiegen, die pünktlich kerngesunde Kinder zur Welt brachten. Man kann sich für diese Kinder nur unfassbar freuen. Das kann durchaus anders ablaufen, wie man einmal beobachten konnte, als ein Bestatter an der Hintertür anhielt und mit drei Weidenkörbchen in der Hand die Klink betrat. Vorbei an einigen werdenden Müttern. Stimmung allerorten!

Infusion und Fußball

Die Gespräche mit Ärzten, Schwestern und anderem Fachpersonal – darunter eine Psychologin – wurden immer intensiver und so wuchs man als baldige Familie langsam in die Gewohnheit hinein, dass alle Anwesenden das Richtige taten. Dreimal am Tag Herztöne (CT), Nährstofflösungen per Venen-Zugang, furchtbare Langeweile und der allabendliche Kampf mit dem DVB-T Empfang während der Fußball Europameisterschaft. Immerhin konnte Papa morgens, mittags und abends jeweils für eine Stunde reinschneien, um sich anschließend wieder der Arbeit zu widmen. Aufgrund der Fehlstunden teilweise bis spät in den Abend und manchmal in die Nacht hinein. In der Zwischenzeit freute man sich über jedes Gramm, das das Ungeborene im Mutterleib zulegte. Es waren winzige Gewichtssprünge, aber „jedes Gramm zählt vor dem ersten Atemzug.“, so der behandelnde Arzt.

Er war es auch, der nach einer Untersuchung meiner Frau in meinem Beisein auf meine Frage, ob das Kind nun geholt werden müsse, antwortete: „Geholt? Quatsch. Drinlassen! Das ist noch nicht durch!“
Man braucht diese Art von Humor, wenn man tagtäglich nicht nur positive Erfahrungen mit dem Start oder eben auch Ende neuen Lebens macht. Uns störte das nicht. Genau unser Humor.

Warten und Bangen – die Lungenreife

So vergingen vier lange Wochen, in denen unsere Kleine noch etwas weiterwachsen und an Gewicht zulegen konnte. Zum Erreichen der Lungenreife, also der Fähigkeit des Säuglings, nach der Geburt eigenständig atmen zu können, fehlten einige Wochen. In den ersten drei Wochen verlief für unsere noch artig wartende Tochter das Wachstum in einer leicht ansteigenden Kurve. Leider wurden die Zahlen in der vierten Woche im Krankenhaus jedoch immer kleiner und schlussendlich erreichten wir eine Stagnation, so dass drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin – und auf den Punkt zur Lungenreife - feststand, dass die künstliche Einleitung der Wehen stattfinden musste, um den Kind das bestmögliche Wachstum zu ermöglichen, was nicht mehr im wohlig-warmen Innern meiner Frau stattfinden sollte. Das gesamte Personal engagierte sich in all den Wochen dafür, meiner Frau eine natürliche Geburt zu ermöglichen. Da es jetzt so weit war, dass das Kind vorzeitig geboren werden musste, stand diese also kurz bevor.

An diesem Sonntagnachmittag erklärte man meiner Frau, dass sie in Kürze den so genannten Wehen-Cocktail erhalten würde. Sie spaßte noch: „Klar. Den krieg’ ich aber gefälligst mit Schirmchen und Strohhalm!“

Der Wehencocktail

Ein paar Stunden später wurde sie zur Geburtsstation gebeten, wo sie eine freundliche Schwester begrüßte, die ein Glas mit orangefarbener Flüssigkeit in der Hand hielt - mm Rand des Glases ein Schirmchen, in der Mitte tatsächlich ein Strohhalm.

Nach dem Genuss des mit Orangensaft gemischten Mittels teilte man mit, es gäbe in genau zwölf Stunden einen weiteren Cocktail, womöglich später einen dritten und dann sollte es auch langsam losgehen. Also fuhr ich für den Moment nach Hause. Zu jener Zeit bereits wohl wissend, dass ich in der Nacht kein Auge zutun würde angesichts der geplanten Geburt unserer Tochter am nächsten Tag.

Als ich gerade nach der 15-minütigen Fahrt vor der Haustür das Auto parkte, erreichte mich ein Anruf der Klinik und während ich meine Frau im Hintergrund weinerlich wimmern hörte, sprach eine hörbar erfreute und freundliche Schwester: „Ihr kleiner Schatz hat entschieden, dass sie jetzt schon raus möchte. Ihre Frau hätte Sie dann jetzt gerne hier.“

Geburtstag – Worst Case Szenario

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