Wenn Oma und Opa plötzlich wieder Eltern sind

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Was haben wir uns abgemüht! Nie wollten wir so werden wie unsere Eltern und doch ertappen wir uns mit fortschreitendem Alter immer wieder dabei, wie viel Ähnlichkeit doch vererbt wurde. Wenn du aber denkst, dass du dem Kindesalter – irgendwann mit Mitte 30 – endlich entwachsen bist, werden deine Eltern... plötzlich wieder zu Eltern.

Das passiert schlagartig. Mit der Geburt deines Kindes.

Wie man auf der Autorenseite bereits lesen kann, bin ich stolzer Vater einer 78 cm großen Tochter. Daher widme ich mich heute einem Thema, das Nicht-Eltern wahrscheinlich völlig unspektakulär vorkommt. Eltern werden jedoch gleich so etwas denken wie: „Oh Gott! Hör’ mir bloß auf!“

Es geht um den Generationenkonflikt während der Entwicklung und Erziehung eines Kindes. Nicht irgendeines Kindes. Deines Kindes! Es geht um all die Sätze die mit „Also wir haben früher...“, „Als du klein warst...“ oder „Damals war das alles noch...“ beginnen und in den meisten Fällen nicht sehr viel besser weitergehen. Na? Schon genervt? Hand hoch: wer hat gerade mit Zornesfalte und ordentlich Puls Mutter und Schwiegermutter vor Augen? Gerngeschehen!

Gleich in die Vollen

Als unser Pups auf die Welt kam, hatte sie es nicht gerade leicht. Kaum in die Welt gesetzt, gab es den ersten Kampf zu meistern. Sie wurde nicht nur drei Wochen zu früh geboren – das wäre ja heutzutage völlig im Rahmen. Sie wurde als so genanntes spätes Frühchen geboren. Während meine Frau aufgrund von Komplikationen die letzten vier Wochen vor der Entbindung bereits im Bett des Krankenhauses verbringen durfte und ich mal zwei-, mal dreimal täglich von der Wohnung ins Krankenhaus fuhr, schwankte unser Nachwuchs zwischen „Ne, komm, lass mich jetzt mal raus.“ und „Och, eigentlich ganz cool hier drin – ich bleib’ doch noch 'n Bisschen.“.

Nur wenige Minuten nach dem ersten Wehencocktail zur Einleitung der Geburt – man hatte den werdenden Vater kurz zuvor noch mit den Worten „In ein paar Stunden gibt’s den Nächsten und morgen sollte es dann so weit sein.“ nach Hause geschickt – erhielt ich den Anruf, ich möge doch bitte so schnell wie möglich zurück ins Krankenhaus kommen. Die Frau liege bereits im Kreißsaal.

Gut. Meine Tochter vertrug also von Geburt an schon nicht viel. Würde eine recht günstige Jugend werden...

Vielleicht gehe ich in der Zukunft noch auf die Querelen ein, die mit den nachfolgenden Stunden, Tagen und Wochen verbunden waren. Hier geht es aber jetzt um das Danach. Es sei also lediglich noch erwähnt, dass ein 1.600g leichter Säugling eine besondere Art der Betreuung benötigt. Angefangen auf der Säuglingsintensivstation über die ersten Nächte zu Hause bis hin zum ersten Lebensjahr und in manchen Fällen - wie bei uns - auch darüber hinaus.

Mit dem Tag, als Pups geboren war, veränderte sich unsere Familie. Also... nicht unsere, sondern unsere. Während man mit Vattern in den letzten 20 Jahren leidenschaftlich und stundenlang angeregt über Berufliches quatschte und Frau Mutter sich gerne über alles und jeden äußerte, was/der irgendwo auftauchte, schien es mit dem Moment der Geburt eine Erschütterung in der Macht zu geben. Plumps, Kind da, Omas und Opa gaga. Schon im ersten Telefonat wurden verbale Maschinengewehrsalven abgefeuert und es entstanden – wohlgemerkt nach einer Nacht ohne Schlaf und Nerven aufreibenden Stunden im Krankenhaus – Wortwechsel wie der Folgende:

„Hat die Kleine eine Mütze an?“
- Nein

„Oh Gott! Es ist Juli, aber für Babys gibt es keinen Sommer! Bekommt sie denn zu Essen?“
- Nein, sie bekommt...

„Was!? Sie muss doch was essen!“
- Ja, aber sie bekommt ja...

„Das kann doch nicht sein, dass sie nichts zu Essen bekommt?!“
- Herr. Gott. Ja. Sie. Bekommt. Essen! Sie wird ja gestillt!

„Also doch! Gerade hast du noch gesagt, sie bekäme nichts zu essen!“
- Jaaaahaa... nicht Essen in dem Sinne. Sie bekommt...

„Was denn jetzt, Essen oder nicht!“
- Und bei Papa? Alles gut?

„Ja, ich glaube schon. Jetzt noch mal zum Essen. Bekommt sie denn genug?“
- Ja, Mama. Sie bekommt genug. Sie trinkt alle paar Stunden und schläft dann wieder.

„Du hast ja nie geschlafen. Und gestillt hab’ ich sowieso nicht lange. Du hattest mit vier Monaten den Mund voller Zähne und hast mich immer nur gebissen!“
- Aha. Ich muss schon früh gewusst haben, wer du bist.

„Was?“
- Hm?

Eigentlich hätte man ahnen können, dass dies ein Vorbote für all das ist, was noch kommen sollte. Seit über einem Jahr vergeht kaum eine Woche ohne neue Tipps und Tricks aus Zeiten des Wirtschaftswunders. Seien wir ehrlich: das arme Kind hat gerade gut 1/80 seines Lebens hinter sich! Nach all den Monaten bin ich der Sippe bzw. dem Phänomen Oma- und Opawerden auf die Schliche gekommen. Beim Elternsein gibt es nämlich eine simple Faustregel:

Je mehr Informationen man selbst vom Kind direkt oder von Ärzten über das Kind erhält, desto mehr Informationen erhält man über sein Kind direkt von seinen Eltern oder Schwiegereltern. Grundsätzlich gilt: diese Informationen sind nur mit Gold aufzuwiegen, wurden vor Jahrzehnten vom Babygott persönlich in Marmor gemeißelt und sind grundsätzlich den Meinungen und Diagnosen von Ärzten, Hebammen, Stillberaterinnen, Krankenschwestern und anderem, unqualifizierten Personal überlegen! Wenn man das einmal verstanden hat, ist es eigentlich recht erträglich. Man muss beim Besuch der Eltern auch das Kind nicht mehr sechs Stunden im Auto verstecken und behaupten, es sei heute nicht mitgefahren.

Wenn du also deiner Mutter beiläufig erzählst, dass Pups heute zum ersten Mal selbstständig eine Bauchrolle gemacht hat, werden neurologisch hochkomplexe Prozesse im Kopf der Oma in Gang angestoßen, die seit 36 Jahren unbewusst darauf warten, getriggert zu werden. Wie ein Wasserfall beginnt es zu sprudeln. Du erfährst, dass das Kind dies schon sehr lange hätte tun sollen, dass es schrecklich und definitiv nicht normal ist, dass das jetzt erst passiert und dass sicherlich irgendetwas nicht stimmt. Du erfährst, dass du das im Alter deines Babys schon längst konntest, dass du in seinem Alter sogar schon die ersten Wörter sprechen konntest und dass um 20:15 Utta Danella läuft, weshalb das Gespräch dann auch abrupt beendet ist. Tja. Und dann stehste da...

Mit anderen Worten: dein Kind ist irgendwie komisch. Irgendwie nicht normal. Irgendwie anders. Wahrscheinlich behindert oder verrückt. Klar ist nur: Schuld daran tragen allein die Ärzte. Die erzählen heute nur noch Mist und wollen nur Geld verdienen.

Dass das Kind nun mal ein spätes Frühchen ist, was mit diesem kleinen Körper unfassbar viel zu stemmen und aufzuholen hat, versteht keiner deiner Verwandten. Auch nicht nach der siebenunddreißigsten Erwähnung. Aber auch hier greift eine Faustregel: je länger und medizinisch relevanter eine Erklärung, desto schneller wirst du mit einem lauten „Alles Quatsch!“ unterbrochen. Gib es am besten gleich auf. Du wirst niemals eine Erklärung bis zum Ende liefern können.

Im Alter von drei Monaten sollte man außerdem langsam mal anfangen, dem Baby feste Nahrung in den Mund zu stecken. Einfach rein damit! Es muss sich daran gewöhnen und kann ja schon mal drauf rumlutschen. Und Töpfchen! Man kann nicht früh genug mit dem scheiß... pardon... verfickten Töpfchen anfangen!
Du holst tief luft, drehst den Hörer vom Telefon weg, blickst deine Tochter an, die dich mit erwartungsvollen Augen ansieht. Du siehst, wie die Gesichtsfarbe langsam von rosig zu rötlich zu tomatenketchupexpertenrot verändert und wirst Zeuge des lautstark explodierenden gasigen Vorboten dessen, was exkrementell allerfeinstens gestapelt seinen Weg in die Windel findet. Und dann macht sich dieses zufriedene Lächeln in dem wieder rosigen Gesicht breit. Du lächelst zurück, denn du weißt, dass alles in bester Ordnung ist. Dein Kind kann kacken! Das können andere Kinder auch, aber mein Kind kann viel schöner kacken als andere - und wahrscheinlich auch schon viel früher! Aber zurück zum Telefonhörer...

Mittlerweile hörst du die Geschichte zum achten Mal in den letzten drei Wochen, wie du als Baby durch die Bude gekrabbelt bist. Im Alter von nur fünf Monaten. Du hörst, wie faul du als Baby warst, denn laufen wolltest du ja erst mit 16 Monaten. Dafür hast du aber geplappert wie ein Wasserfall.

„Was sagt sie denn so?“
- Na, sie ist drei Monate alt. Was soll sie sagen? Wörter gibt’s da noch nicht wirklich.

„Was? Das ist aber sehr merkwürdig. Also du hast ja früher...“

Du drehst den Hörer weg und bemerkst das Augenrollen deiner Frau, weil sie ganz genau weiß, was gerade gesprochen wird. Immerhin ist der Hörer immer noch warm vom Telefonat mit ihrer Mutter.

Sir, ja, Sir, Ma'am!

Über die Wochen und Monate erhältst du keine Ratschläge. Du erhältst auch keine Empfehlungen. Du bekommst klare Anweisungen und Schlachtpläne. Einsatzbefehle und Zielvorgaben. Strategievorträge und Taktikbesprechungen. Der vollgeschissene Rekrut hat mit zwölf Monaten zu laufen, mit 15 Monaten ganze Sätze zu sprechen und spätestens mit vier Monaten zu sitzen. Aufrecht und deutsch! Es muss Klötze in Formen drücken können, zur Not mit der Holzfräse aus Opas Schuppen, noch bevor es klatschen kann! Und die heiligste aller Regeln: ab dem dritten Monat wird gefälligst durchgeschlafen. Rumms... da ist es! Das Anti-Wort aller Eltern. Weltweit! Durchschlafen - Babys müssen durchschlafen! Und wenn sie das nicht tun, dann sind sie nicht normal! Denn „du hast mit vier Monaten durchgeschlafen!“.

Ja, das habe ich. Ich hatte ja auch mit vier Monaten die Schnauze so voll mit Zähnen, dass ich meine Mutter beim Stillen immer halbtot gebissen habe. Deswegen bekam ich angedickte Babymilchnahrung per Pressluft in den Hals geschossen. Hauptsache, das Baby hält die Fresse und pennt von 20:00 bis 8:00 Uhr. Und wenn’s wach wird? Noch ne Ladung Pulvermilch! Immer rein damit. Bis der kleine, rumorende und einen morgendlichen Vulkan feinsten Exkrements vorbereitende Magen-Darm-Trakt so voll ist, dass es gar nicht mehr anders geht als im Fressdelirium durchzuschlafen.

Liebe Omas, liebe Opas,
an der Stelle mal eine Frage: habt ihr euch mal gefragt, warum es so vielen Menschen so schwerfällt, abends nichts mehr zu essen? Warum es so viele übergewichtige Menschen gibt? Warum es so viele Leute gibt, die sich einbilden, ihren Teller immer komplett leeressen zu müssen? Auch hier: gerngeschehen!

Unser Pups, und darauf sind wir stolz, hat bis heute weder Pulver- noch Gläschennahrung gesehen. Meiner Frau als stillender Mutter ist Pulvernahrung genauso ein Dorn im Auge wie mir als ehemaliger Koch ein verdammtes Gläschen mit pürierten Sachen für 0,79 EUR. Pups hat bisher ausschließlich Selbstgemachtes bekommen. Der Lohn: sie isst alles, interessiert sich für alles und bildet einen hervorragenden Sinn für die Beschaffenheit von Nahrungsmitteln. Und obwohl sie fast alle Milchzähne hat, lebt meine Frau noch. Komisch. Immerhin habe ich meiner Mutter ja beinahe die Brust amputiert.

Und auch wenn sie mit ihrem Gewicht noch etwas hinterher hängt, auch wenn ihr immer noch 1-2cm in der Länge für die Normtabelle fehlen, auch wenn sie sich mit dem Sitzen sehr schwer tut und beim Essen Unterstützung braucht, auch wenn sie noch nicht auf ein Töpfchen gehen kann: das sind die Dinge, für die Eltern da sind und das sind die Dinge, bei denen Kinder lernen, dass Mama und Papa ihnen helfen. Das sind die Momente, in denen Kinder lernen, was es heißt, satt zu sein und genug zu haben, in denen sie lernen, wie welches Lebensmittel heißt, wie es schmeckt und wie man es isst. Und wenn sie sich dann ab und zu einfach so an dich kuschelt und dir einen dieser kleinen, matschigen Babyschmatzer aufdrückt, dann weißt du, dass das Beste, was du tun kannst, weghören ist! Die Intuition einer Mutter und die Gleichgültigkeit eines Vaters sind die beste Erziehung für das erste Lebensjahr. Moment! Ach, ... egal.

Erfahrung und Fortschritt sind Dinge, die sich gegenseitig ausschließen. Ja, wir haben früher unsere Babys schreien lassen, wenn sie nachts geweint haben. Im dritten Reich wurde der Mythos erschaffen, das Schreien stärke die Lunge. Wir haben sie vollgestopft, damit sie durchschlafen. Wir haben sie stundenlang auf ein Töpfchen gesetzt, damit sie verdammt noch mal lernen, dass man nicht in eine Windel kackt. Wir haben früher allerdings auch ganz andere Dinge getan, für die wir uns heute zutiefst und –recht schämen. Vielleicht sollten wir einfach mal damit anfangen, Babys Babys sein zu lassen. Der Druck der Leistungsgesellschaft kommt früh genug - aber bitte nicht beim ersten Häufchen, den ersten Krabbelbewegungen, dem ersten Satz und der ersten nicht pürierten Nahrung!

Liebe Eltern und Großeltern,
die Welt dreht sich weiter und so ist es nun mal. Neue Erkenntnisse und Studien widerlegen oft die Erkenntnisse, die ihr vor knapp 40 Jahren vermittelt bekamt. Unterhaltet euch mit uns, redet mit uns, hört uns zu und sprecht uns Mut und Zuversicht zu. Aber sagt uns nicht, wir würden Dinge falschmachen, unsere Kinder seien heute alle anders oder Ärzte würden nur Quatsch erzählen. Wie wäre es, wenn ihr eure eigenen Kinder dabei unterstützt, eine glückliche Familie zu sein? Ihr seid immerhin ein Teil davon.

So, jetzt muss ich aber los. Die Nachbarn von oben haben letzte Woche ihr Baby bekommen und ich habe da so zwei bis achtzig Ratschläge, die ich als Vater... unbedingt ... loswerden ... muss. Tschöhöööö...

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    Sadi · 09:17 30/09/2017
    Ein ganz toller Text!! Ich musste so lachen aber traurig ist das einerseits auch. Ich bin bin aber hier gelandet weil ich gesucht hatte nach den späten Frühchen und leider steht dazu nicht so viel hier. Ich würde mich total freuen wenn da noch was nachgeholt wird. Ich befine mich gerade in der Situation, daß uns das passieren könnte :/
    Aber sonst super! Ich komme besitmmt mal wieder vorbei f0c8c Wenn Oma und Opa plötzlich wieder Eltern sind
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      Patrick · 20:52 30/09/2017
      Liebe Sadi,
      lieben Dank für deinen Kommentar. Ich habe tatsächlich lange überlegt, ob ich diese Geschichte wirklich erzählen will. Es ist keine lustige Geschichte und eigentlich passt sie nicht so recht zu dem, was ich hier eigentlich veröffentlichen wollte. Dein Kommentar hat meine Meinung allerdings ein wenig verändert. Deswegen habe ich mich dafür entschieden, das alles einmal aufzuschreiben. Das wird allerdings kein Beitrag im Rahmen der bisherigen Texte. Ich gehe davon aus, dass das locker viermal so lang werden könnte. Daher werde ich wohl einer altgedienten Sitte in der Bloggerwelt folgen und eine Beitragsserie veröffentlichen. Da ich mich aber dem Zwang nicht ausliefern möchte, nach X Tagen einen neuen Teil veröffentlichen zu müssen, werde ich die Geschichte komplett schreiben und dann nach und nach veröffentlichen. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Tagen die ersten Teile der Serie erscheinen werden. Vielen Dank für dein Interesse. Vielleicht gibt es ja noch weitere Leute, die das Ganze interessiert.


      Viele Grüße
      Patrick
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